Fäden aus der Vergangenheit
Letzten Mai erhielt ich dieses Paket von einer Kollegin. Sehr spannend! Eine Etikette war aufgeklebt: Best Knitting ? Threads und ein Spindelsymbol. Die Einpackung war Zeitungspapier von 1. März 1978. Im Paket lag weisses, weiches Baumwollgarn in Strängen, offenbar Strickgarn, ca. 100 g.
Erinnerst du dich an März 1978? Vielleicht warst du ja noch gar nicht auf der Welt. Ich war achteinhalb Jahre alt und wohnte in der Innerschweiz in einem Dorf, zusammen mit meiner Mutter und unserem Hund. Maya war meine beste Freundin, sie ging in die dritte Klasse und ich in die zweite. Wir hatten denselben Schulweg und spielten fast jeden Tag stundenlang zusammen. Unsere Klassenlehrerin war eine Menzinger Schwester und ich ging gerne in die Schule.
Das Packpapier besteht aus zwei Doppelseiten des Walliser Boten. Was war los im Wallis anfangs März 1978? “Auf dem Luftweg zur künstlichen Besamung” – fünf Kühe aus dem Safrandorf Mund wurden von der Air Zermatt ins Tal zur Insemination geflogen, da die Strasse wegen den Schneemengen nicht befahrbar war. In Saas-Grund wurde Aktienkapital von 4,3 Mio zum Bau von Bahnanlagen gezeichnet und in Saas-Almagell würden zwischen dem 10. und 12. März die 3. alpinen Schweizer Skimeisterschaften für Behinderte stattfinden. Im Kellertheater in Brig spielte Walo Lüönd im Stück „Nepal“ von Urs Widmer und der Modeshop „chic“ wurde eröffnet, ebenfalls in Brig. Charles Vögele bewarb geblümte Oberteile für 59 Franken und Röcke für 69 Franken bis Grösse 50 und C&A hatte ein ganzseitiges Inserat für europäische Couture. In der Migros kosteten zwei Pack Zahnpasta Candida Fluor Actif 3.20, zwei Wienerli 1.80 und zwei Liter Orangensaft 2 Franken. Der neue VW Passat war da, ein Occasion Austin mini 1000 wurde für 1900 Franken verkauft und eine grössere Menge an Bergheu und Emd wurde angeboten. Eine Typistin, eine Babysitterin, eine Haushälterin und mehrere freundliche Serviertöchter wurden gesucht, in Montreux gab es eine freie Stelle als Spengler und jemand suchte ein Restaurant zum Mieten oder Kaufen im Raum Oberwallis.
Die Person, welche das Garn irgendwann im Frühling 1978 eingepackt hatte, war sehr gründlich. Sie (ich denke, es war eine Frau) wollte es einlagern und später benutzen, vielleicht zum Stricken. Aber aus irgendeinem Grund brauchte sie es nie.
Ich entschied mich, das weiche Garn als Schuss für Küchentücher zu verwenden und gleich Huck Lace zu weben, eine Leinenbindung mit Flottungen, die ich noch nie ausprobiert hatte. Das Garn war leicht gelblich verfärbt, würde es beim Waschen heller werden? Als Kette nahm ich einen Rest Baumwollgarn 8/2, gebleicht, und Blatt 50/10 1-2.
Ich hatte Glück, das Schussgarn ist wahrscheinlich auch 8/2 und das Gewebe wurde schön balanciert. Der Gelbton verschwand nach der ersten Wäsche. Huck lace (kennt da jemand das deutsche Wort?) war einfach zu weben und machte Spass! Das Muster ist aus “A Weaver’s Book of 8-Shaft Patterns” von Carol Strickler, das ich sehr empfehlen kann.
Hast du altes Garn zum Häkeln, Stricken oder Weben benutzt?