Perfekt oder gut genug?

Jedes Gewebe beginnt mit Garn. Aber welches Garn ist das Richtige?

Die Webmeister von Norwich benutzten dünnes Kammgarn von der Wolle der Lincoln Longwool Rasse. Die glänzenden Locken dieser Schafe sind zwischen 30 und 45 cm lang und wurden handgekämmt und von Hand gesponnen.

Die Stoffe in Elverum waren dicht gewoben, zwischen 20 und 30 Kettfäden per cm, mit einer Ausnahme.

Letzten September war ich im norwegischen Trachteninstitut in Fagernes und traf dort Bodil Enger.  Sie zeigte mir zwei Textilien, ein Brusttuch und einen unvernähten Stoff. Im Museum und in den Archiven darf sonst nichts ohne Handschuhe angefasst werden, aber der zweite der Stoffe gehörte einer Privatperson, die in netterweise für uns zur Verfügung gestellt hatte. Diesen durften wir ohne Handschuhe berühren und die Überraschung war gross. Der Stoff mit dem grossflächigen, äusserst komplizierten Muster fühlte sich eher hart und ziemlich kratzig an, eine Qualität, die eher an Möbelstoff erinnerte und die Jahrhunderte überstehen konnte.  Für einen modernen Verbraucher jedoch, der sich an Merino und weiche Kammgarnstoffe gewöhnt ist, wäre er vollständig inakzeptabel.

Typisch für die Stoffe aus Norwich war ihr spezieller Glanz, der in der Nachbehandlung entstand. Die Gewebe wurden mit einer für uns unbekannten Wachsmischung eingepinselt und dann heiss gepresst unter hohem Druck. Es wurden auch Mischgewebe aus Seide und Wolle hergestellt, diese hatten natürlich auch ohne Pressen und Wachsbehandlung ein wenig Glanz.

Einige moderne, industriell gewobene Kopien enthalten einen hohen Anteil Mohairgarn, welches ja auch glänzt. Bodil Enger zeigte mir einige Stoffe und ich entschied mich sofort dagegen, Mohair zu verwenden. Erstens kannte man diese Faser in Norwich gar nicht, zweitens waren einige der Stoffe mit Mohair eher dick und vorhangähnlich, andere sahen haarig aus.

Ich suchte also ein dünnes, hart gesponnenes Kammgarn mit hoffentlich ein wenig Glanz.

Klar, das perfekte Garn wäre handgekämmt und handgesponnen aus der Wolle der Lincoln Longwool Schafe. “Von Hand” konnte sofort ausgeschlossen werden. Was früher eine gewöhnliche Schafrasse war, die sogar in andere Kontinente exportiert wurde, ist jetzt eine seltene Rasse mit weniger als 700 Mutterschafen in Grossbritannien. Ich fand einen Züchter, der Strickgarn verkaufte und einen anderen, der mir Rohwolle verkaufen konnte. Jetzt fehlte noch die Kammgarnspinnerei, aber ich fing schon gar nicht an zu suchen. In einem einjährigen Projekt hatte ich weder Zeit noch die nötigen Mittel, um Spezialgarn spinnen zu lassen.

 

Welche dünnen Kammgarne hatte ich im Garnvorrat:

  • 30/2, ein wunderschönes Merinogarn von Zegna Baruffa, natürlich viel zu weich.

  • Uusi Veera (18/2) von Wetterhoff Oy, zu dick, vielleicht für gröbere Gewebe geeignet.

 

Welche dünne Kammgarne kannte ich sonst:

  • Kampavillalanka 36/2 von Vuorelma/Suomen perinnetekstiilit Oy. Dieses Garn wird oft für Rekonstruktionen verwendet, es hat eine grosse Farbpalette und man kann es in 100 g Strängen bestellen. Perfekt.

  • Hillesvåg 28/2, wird in ein kg Spulen verkauft, nur schwarz und weiss.

  • Venne 26/2 or 36/2, ich nahm einfach an, dass dieses Garn wahrscheinlich zu weich wäre.

  • Minnotex 20/2, zu dick, vielleicht für ein gröberes Gewebe.

       

Ich kontaktierte auch Spinnereien, die Garn für Møbelstoffe spinnen oder verweben:

Die meisten Wollstoffe für Möbel enthalten noch einige Prozente Kunstfaser, solche Garne kamen natürlich nicht in Frage. Ich schickte eine Anfrage an:

  • Designer bei Innvik Sellgren Kristina D. Aas und Künstler offerierte, Garnproben zu schicken. Die Fabrik würde mir ungefärbte 1 kg Spulen verkaufen.

  • Gudbrandsdalens Ullvarefabrikk (GU) verkaufen ihr Garn normalerweise nicht, weil sie alles in ihrer Eigenproduktion verwenden. Aber sie würden eine Ausnahme für dieses Projekt machen und mir Garnproben schicken.

  • Ich hatte Grossbritannien noch nicht ganz aufgegeben und fragte Handweberin Cally Booker um Rat, sie empfiehl mir, Laxtons zu kontaktieren. Laxtons hat keine so dünnen Kammgarne, aber sie waren sehr nett und empfahlen Spectrum yarns. Ich schickte eine E-Mail und einige Tage später rief mich Paul Holt an. Wir hatten ein längeres Gespräch, er kannte das Problem mit den weichen Garnen und bot an, eine Garnprobe von ihrem hart gesponnenen 31,3/2 zu schicken.

 

Webproben

Währenddem ich auf die Garnproben von Innvik, GU und Spectrum Yarns wartete, bestellte ich Kampavillalanka 36/2 und Hillesvåg 28/2. Ich machte kurze Ketten, Blatt 100 1-2, Leinwandbindung, symmetrische Gewebeeinstellung von 20 Fäden per cm.

  • Kampavillalanka 36/2: Ist ein sehr schönes Garn, aber leider zu weich. Wegen der Reibung am dichten Blatt gingen gleich reihenweise Fäden kaputt. Abgesehen davon, war die Gewebeeinstellung richtig. Wenn ich hart schlug, kriegte ich 20 Schuss per cm hin.

  • Hillesvåg 28/2, auch diese Kette hielt dem Blatt nicht stand und Fäden wurden abgescheuert. Ausserdem war das Garn natürlich dicker, und 20 Schussfäden per cm konnte ich vergessen. Ich wechselte zu Blatt 70/10 und 14 Kettfäden pro cm. Das war dann kein Problem.

  • Ich versuchte gleich noch Uusi Veera 18/2 mit 14 Kettfäden/cm, um zu herauszufinden, ob ich dieses Garn für eines der gröberen Gewebe benutzten könnte. Diese Gewebeeinstellung funktionierte bestens.

 

Perfekt oder gut genug?

Nach und nach trudelten dann die anderen Garnmuster ein.

  • 40/2 von Gudbrandsdalens Ullvarefbrikk (GU)

  • 36/2 und 28/2 von Innvik Sellgren

  • 31,3/2 von Spectrum yarns

 

Wie alle, die das Beste möchten, sei es der perfekte Partner, die Traumwohnung oder der Traumjob, war ich an einem Punkt angelangt, wo ich mich fragen musste, ob ich weitersuchen sollte oder ob ok gut genug wäre. Ich entschied mich für das Letztere und das Garn von Spectrum Yarns. Es sah dünner aus als die Garne von Innvik, aber etwa dicker als das Garn von GU. Vor allem fühle es sich harter und drahtiger an als alle anderen Proben. Ausserdem würde ich später keine Probleme mit der Lieferung bekommen, falls ich Garn für etwas anderes als genau dieses Projekt benötigen würde.

Ich bestellte die Minimummenge von 20 kg. Die Spulen waren riesig, ca. 1,5 kg per Stück. Es stellte sich heraus, dass das Garn recht scheuerfest war, 20 Kettfäden per cm waren kein Problem. Aber ich kriegte nicht mehr als 18 Schuss pro cm hin. Weil der Stoff, den ich weben wollte, ein Leinwandgewebe mit Flottungen ist, entschied ich mich dafür, das Garn im Jacquardwebstuhl zu testen.

 

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